Numair freundete sich in Windeseile mit dem neuen Stallmeister an und machte ein paar vage Pläne um hier eine zweite Zucht zu eröffnen. Was er hier allerdings dressieren wollte waren normale Reitpferde. Sie konnte man zwar nicht so teuer verkaufen, doch die Kaufleute und adeligen Damen benötigten diese und es war schwer an ein gut trainiertes Pferd zu kommen. Er war sich sicher, dass er damit Erfolg haben könnte. Gleichzeitig beaufsichtigte er die Rekrutierung der neuen Truppen. Kjartan hatte fast alle Soldaten von der Burg abgezogen als er versucht hatte Numair den Weg abzuschneiden. Ausserdem wollte er eine kleine zuverlässige Wache, wenn er Maevas Onkel besuchte. Er hatte keine Lust einem "Jagdunfall" zu Opfer zu fallen.

Rowenia ging die Sachen ohrer Eltern durch und erinnerte sich bei dem ein oder anderen Gegenstand an ihre Kindheit. Sie schwelgte lange in Erinnerungen und es fiel ihr schwer, die Sachen ausräumen und in Truhen verpackt auf den Dachboden bringen zu lassen. Nur die Schmuckschatulle ihrer Mutter und den Paradesäbel samt Gürtel liess sie in den beiden Gemächern zurück.
Die Angestellten bezogen die Betten neu, packten und räumten die Sachen ihrer neuen Herren aus und ein. Rowenia nutzte die Gelegenheit, um sich in ihrem eigenen Zimmer umzusehen. Sie freute sich die alte Dienerschaft wiederzusehen und besprach mit ihnen, wie sie die Zimmer einrichten wollte.
Als es langsam Zeit für das Abendessen wurde, machte sich die junge Countess auf die Suche nach ihrem Gemahl. Wie erwartet fand sie ihn bei den Stallungen vor.
Rowenia musste lächeln, als sie Numair von Box zu Box schlendern und sich mit dem Stallmeister unterhalten sah. Sie holte die beiden ein und grüsste den alten Mann, genauso herzlich, wie er sie begrüsste. Dann hakte sie sich bei Numair ein und entschuldigte die Störung, doch das Essen wurde bald serviert und sie wollte sehen, ob sich ihr Gemahl verirrt hatte oder noch die Wege kannte.

Er lachte leise und zupfte sie sanft am Haar. "Ich habe mich bis anhin noch nie verirrt.", erwiderte er hoheitsvoll und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Sie machten sich auf den Weg zurück und er beobachtete sie wie er hoffte unauffällig. Sie sah seiner Meinung nach schon ein wenig besser aus. "Ich werde morgen Maevas Onkel einen Besuch abstatten. Sie denkt das er ihrem Cousin Obdach gewährt."

Sie sah ihn überrascht und enttäuscht an. "So früh schon?", fragte Rowenia traurig. "Bist du sicher, dass du allein gehen willst?", sie blieb stehen und hielt ihn zurück. Ihre Enttäuschung darüber für längere Zeit alleine zu sein, war der Sorge um ihn gewichen. "Ich will nicht, dass dir etwas passiert... Was wenn sie dir schaden wollen?" Vorsichtig nahm sie ihn in die Arme.

"Ich werde eine kleine Wache mitnehmen.", erwiderte er und schloss sie in die Arme. "Keine Angst. Maevas Onkel würde es nicht wagen etwas zu unternehmen. Die meisten Adeligen stehen jetzt auf Maevas Seite. Aber wenn du willst kann ich den Besuch um einige Tage verschieben. Allzu begierig bin ich nämlich nicht darauf.", schloss er mit einem Lächeln.

"Tu das", meinte sie und blickte zu ihm hoch. "Dann wirst du auch mehr Zeit haben die Wache auszusuchen." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. "Lass uns essen gehen", murmelte sie scheu und schob ihre Finger zwischen die seinen. "Und dann muss ich dir noch die Burg zeigen. Du kennst noch nicht alle Gemächer und Gänge. Und ich habe dir ein Arbeitszimmer vorbereiten lassen, das du noch einrichten kannst."

Die nächsten Tage vergingen ruhig und harmonisch. Rowenia erholte sich gut.
Das Ehepaar hatte sich in den Räumlichkeiten ihrer Eltern eingerichtet, wobei sie das Schlafzimmer Rowenias Mutter als solches gebrauchten, da die Countess der Ansicht war, es bringe Unglück im Raum eines Mannes zu schlafen, der einen nicht ausstehen konnte. Natürlich traf dies nur auf Numair zu, doch dieser hatte schon vor ihrer Hochzeit Pläne gehabt, die vier Gemächer auf drei zu reduzieren - was Rowenia missfiel, denn die Burg war sehr alt und wunderschön, sie wollte nichts an ihr ändern, denn baufällig war das Gemäuer noch lange nicht. Ausserdem wollte sie nicht von ihm getrennt schlafen, denn auch wenn es ihr manchmal zu viel Nähe war, so hatte sie sich an die Anwesenheit ihres Gemahls gewöhnt und konnte oftmals nicht einschlafen, wenn er nicht neben ihr lag.
Je besser es Rowenia jedoch ging, desto näher rückte Numairs Abreise heran und das wurmte die junge Frau. Sie wollte nicht wieder allein in Schwarzschnee sein, denn so sehr sie ihre Heimat auch liebte, so sehr erdrückte sie der Gedanke allein zu sein. Sie würde aber nicht mit Numair reisen können, denn der machte sich, wie gewohnt, zu viele Sorgen um sie. Vor allem wegen der Schwangerschaft. Er befand, dass sie seiner Gattin nicht bekam, auch wenn diese nichts davon hören wollte.
Am Abend vor Numairs Abreise, brachte ein Bote Nachricht über Kjartan, den man im Grenzgebiet zu Gevira gesehen haben wollte, aber Rowenia leitete die Nachricht nur an Maeva weiter, denn sie wollte ihren Gatten nicht beunruhigen. Statt ihm bescheid zu sagen, unterrichtete sie den Kapitän seiner Leibwache darin und bat den Mann noch vorsichtiger zu sein und gut Acht auf Numair zu geben.
Als sie zu Bett gingen, legte sie sich mit Numair schlafen und versuchte die Stunden vor seiner Abreise so angenehm zu gestalten, wie sie nur konnte, denn sie hatte ihre ehelichen Pflichten längere Zeit vernachlässigt und wollte nicht, dass ihr Mann noch länger zölibat leben musste.
Am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich gleich nach dem Frühstück voneinander und Rowenia tröstete sich mit dem Gedanken, ihn in weniger als zwei Wochen wieder zurück begrüßen zu können.

Numair wollte sie erst nicht loslassen. Er machte sich einfach zu viele Sorgen und das wusste er. Wahrscheinlich erdrückte er sie mit seiner Fürsorge, doch er konnte einfach nicht anders. Er drückte kurz die Lippen auf die ihren und liess sie dann los. "Ich werde bald zurück sein, Liebste.", sagte er und küsste sie nochmals. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt mit dem kleinen Gefolge aus der Festung raus. Er gab sich Mühe nicht nach hinten zu sehen, denn er wollte es nicht noch schwerer machen als es war. Erst als sie in das kleine Wäldchen hineinritten erlaubte er sich einen kleinen Blick über die Schulter. Bevor er wieder nach vorne schaute und weiter ritt. Dieser Besuch sollte nicht allzu lange dauern. Jedenfalls hoffte er das.

Rowenia sah ihnen lange nach, auch als sie zwischen den Bäumen verschwunden waren. "Herrin, ihr solltet rein gehen", meinte die Zofe neben ihr mit leiser und freundlicher Stimme. Rowenia nickte. "Ich sehen ihm nicht gerne nach, Netha", meinte sie und raffte ihre Röcke, um die Stufen hinauf in die Zitadelle zu steigen, "Es fühlt sich immer an, wie ein Abschied für immer. Ich mag das nicht."
"Er wird bald wieder zurück sein", tröstete Netha und lächelte Rowenia aufmunternd zu, "Und wenn Ihr ihm eine Freude machen wollt, dann ruht Euch noch etwas aus, kommt zu Kräften und versucht die ruhige Zeit zu genießen."
Rowenia erwiderte das Lächeln nur und nickte.

Der Empfang für Lord Midvale war warm und willkommend, immerhin war er gesandter der Königin und man wollte sie nicht verärgern.