Wenige Tage später ritt Numair zum Gut von Ewegran von Eichenlind. Er hatte nur ein kleines Gefolge dabei. Zwei Ritter und Leofric. Der Junge hatte seinen mürrischen Gesichtsaudruck schon nach einem Tag ablegen müssen. Als er in Midvale eingetroffen war, hatte er zuerst die grossen Stallungen von Numairs Pferdezucht gesehen. Schon nach wenigen Stunden war offensichtlich gewesen, dass Numair sich einen echten Pferdenarr als Pagen geangelt hatte. Er hatte nichts dagegen. Eine Magd sah sie ankommen und lief geschwind ins Haus um sie beim Lord anzumelden.

Ewgeran liess den Lord willkommen heissen und wies einige diener an, ihm Speis und Trank anzubieten und dann in den Garten hinter dem Hof zu geleiten, in dem er auf den jungen Mann warten würde.
Seit dem Tod des Königs mochte er keine Speichellecker mehr sehen und das waren alle Adeligen. Er fragte sich, was Numair von Midvale wollte und schlürfte genüsslich seinen Tee, währendem er sich mit seiner Tochter unterhielt.
Diese war gerade von der Jagd zurück und trug noch ihre Armbrust bei sich.

Numair liess seine beiden Ritter und Leofric bedenkenlos bei den Bediensteten zurück. Sie würden gut versorgt werden. Ein Diener führte ihn in den Garten hinter dem Hof. Seine beiden Gastgeber erhoben sich als er näher trat. Numair verbeugte sich leicht vor Eichenlind und führte Lineas Hand an seine Lippen. "Eine Ehre endlich eure Bekanntschaft machen zu dürfen, Mylord, Mylady. Ich soll euch Grüsse von Prinzessin Maeva ausrichten, Lord Ewegran. Eure Anwesenheit bei Hofe wird schmerzlich vermisst.", sagte er höflich.

Linea lächelte überrascht. "Sehr erfreut...Seid willkommen, Lord Numair", grüsste sie ihn und ihr Vater schmunzelte. "Die kleine Lady vermisst meine Anwesenheit?", er deutete ihm Platz zu nehmen. "Wiso?"

"Sie befürchtet, dass der Rat Pläne hat eure Kinder zu vermählen. Mit wem weiss ich leider nicht und die kleine Lady wusste es ebenfalls nicht. Jedenfalls hat sie mir nichts in der Richtung mitgeteilt.", fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu, "Die Prinzessin fürchtet eure Unterstützung zu verlieren.", sagte er dann geradeheraus.

"Ich werde auf den Hof zurück kehren, sobald sie auf dem Thron sitzt. Keinen Tag früher und keine Stunde später. Linea, meine Liebe, hast du gehört, der König will dich vermählen? Mit wem wird er dich unter die Haube zwängen? Lord Koliwa von Huilendorn? Oder Lord Tervuzin von Portencall?", wandte er sich kurz amüsiert an seine Tochter.
Diese lachte leise und trank lediglich ihren Tee, dann winte sie einen Diener heran und er schenkte auch Lord Numair eine Tasse ein. "Kuchen?", fragte sie den Grafen, "Was verschafft uns eigentlich die Ehre eueres Besuches Lord Numair? Ihr seid doch nicht nur als königlicher Bote unterwegs?"

"Nein, Mylady, dass bin ich tatsächlich nicht. Ich bin eigentlich hier um eurem Vater einen moralisch höchst bedenklichen Vorschlag zu machen, nur fehlen mir die Worte um es richtig auszudrücken. Da euer Vater, aber ein Mann zu sein scheint, der ein offenes Wort vorzieht, werde ich wohl so damit herausrücken müssen. Es wäre doch eine höchst erfreuliche Sache wenn euer Sohn Werdash die Tochter eures Nachbarn heiraten würde. Liebe kann unerwartet schnell aufblühen und unter gewissen Umständen hätte der Rat gar keine andere Wahl als einer Heirat zwischen eurem Sohn und der Tochter eures Nachbarn zuzustimmen.", erklärte Numair und erwartete halb, dass ihm Lord Eichenlind ob dieses Vorschlages eine Scheuern würde.

Der Mann tat nichts dergleichen, sondern brach in schallendes Gelächter aus, so sehr, dass sein dicker Bauch aus seinem Gürtel zu springen drohte, da er zu munter auf und ab hüpfte.
"Mein lieber Freund", begann er noch halb lachend, halb kichernd und sich eine Träne aus dem Auge wischend, "Ich habe seit Jahren nicht mehr so gelacht... Mein Sohn und die kleine Schreckschraube von nebenan?", erneut lachte er, aber etwas freundlicher. "Nun gut... Ich werde den Vorschlag in Erwägung ziehen... Jenachdem was mein Sohn dazu sagt und jenachdem wen der König für ihn vorgesehen hat."
Linea sah die beiden Männer leicht verstört an. "Nun, ich finde das überhaupt nicht amüsant... Wir werden wohl selbst entscheiden dürfen, wen und wieso wir heiraten werden, wenn überhaupt!", protestierte sie.
"Jaja, natürlich, mein Kind", meinte der Graf von Eichenlind und wischte sich mit einem Taschentuch, die Augen ab.
"Vater!", mahnte sie ihn streng, musste aber selbst kurz darauf kichern, als er sie angrinste.
"Sagt Lord Numair, habt ihr wirklich einen so langen Weg auf euch genommen, nur um uns diese Idee vorzustellen?", fragte sie noch leicht amüsiert.

Numair schüttelte lächelnd den Kopf. "Das war nur ein Teil des Grundes, weshalb ich gekommen bin. Ehrlich gesagt habt ihr aber meine Neugierde geweckt mit eurer wenig liebenswürdigen Bezeichnung eurer Nachbarin. Und bevor ich auf eure Frage antworte würde ich gerne erfahren warum ihr sie so nennt?"

"Sie ist ein recht seltsames Mädchen", antwortete Linea anstelle ihres Vaters. "Man erzählt sich, sie hätte die Gabe den Tod eines Menschen voraus zu sagen. Und tatsächlich taucht sie oft an einem Tor auf, kurz bevor dessen Besitzer stirbt. Und sie sieht auch recht befremdend aus, wenn sie dies tut. Sie trägt dann immer ein graues Gewand, ihr Haar ist zerzaust, als wäre sie durch einen Sturm gegangen oder gerade erst aufgestanden, und sie trägt einen Schleier, der jedoch nicht ihr Gesicht verdeckt. Und die dunklen Augenringe und ihre helle Haut tragen das ihre bei zu ihrem gruseligen Erscheinungsbild. Manch ein abergläubischer Mensch würde sie daher fürchten und meiden. Vorallem wenn er recht alt ist", meinte sie mit einem Blick zu ihrem Vater der noch immer leicht kicherte, sich räusperte und einen Schluck Tee nahm, um im nächsten Moment wieder ernst zu wirken.