"Im Gegenteil, es wäre mir eine Freude.", erwiderte er mit einem Lächeln. Zusammen gingen sie hinunter zur Mauer und er führte sie zur Brustwehr. "Von hier aus haben wir einen guten Überblick über die Stallungen.", erklärte er. "Einer meiner Vorfahren begann die Zucht, aber das liegt schon etwa vierhundert Jahre zurück. Ursprünglich züchteten wir nur Schlachtrösser, doch da nur die reichen Lord sich so ein Tier leisten können, begann mein Urgrossvater auch Reitpferde für die Kaufleute zu dressieren. Als Junge wollte ich immer die Jährigen zureiten, wenn ich vom Hof hierher kommen konnte. Ich habe selten so viele blaue Flecken gehabt wie nach diesem Tag." Er erzählte noch ein wenig mehr, ein paar belanglose Anekdoten aus seiner Kindheit. Als er schliesslich nicht mehr weiter wusste, stützte er die Arme auf die Brustwehr und seufzte leise. Das Stimmengewirr der Menschenmenge aus dem Dorf drang bis zur Burg hoch und offensichtlich war eine Schlägerei ausgebrochen, denn ein paar Soldaten eilten schleunigst auf das Knäuel aus Menschenleibern zu und trennten sie.
"Eigentlich eine Schande, dass niemand mehr das Erbrecht respektiert.", murmelte er. "Es würde unsere Situation erheblich vereinfachen."

Linea hatte zugehört und sich ebenfalls gegen die Brüstung gelehnt. Sie fand es immer interessant zuzuhören, denn die verschiedensten Leute hatten die verschiedensten Sachen zu erzählen.
"Das Erbrecht der Prinzessin?", fragte sie nach.

"Ja. Wenn der Rat nicht so machtgierig wäre, würde es viele Dinge im Land vereinfachen. Er sollte lediglich eine beratende Funktion habe und ihr Cousin hätte erst gar nicht zum König ausgerufen werden dürfen. Kaum jemand wird eine Krone einmal hergeben, sobald er sie einmal aufgesetzt hat."
Bevor er weiterfahren konnte, stürmte eine kleine Gestalt auf die Mauer und prallte gegen Numairs Beine. "Numair! Kjartan hat 400 Goldmünzen für Palomon bezahlt.", erzählte Isabella, "Kannst du ihn nicht zurückkaufen? Du hast gesagt unsere Pferde seien zu Schade für einen wie ihn."
"Für die bockige Missge..." Der junge Earl biss sich auf die Zunge. "Für den stursten Gaul des Jahrganges? Dann lasst uns hoffen, dass er ihn ein paar Mal abwirft, bevor er wieder nach Hause kommt, oder was denkst du?"
Sie grinste und entblösste dabei eine hinreissende Zahnlücke, wurde aber sogleich wieder ernst. "Kannst du ihn nicht wieder zurückkaufen? Niemand ist so schnell wie er."
"Ich habe dir schon dutzend Mal erklärt, dass wir genügend Hengste haben, Isabella.", entgegnete Numair geduldig. "Ausserdem ist Palomon kastriert, das bedeutet, dass er die Stuten nicht würde decken können."
"Warum nicht?", fragte sie.
"Ach du meine Güte.", dachte er nervös und sann fieberhaft nach einer guten Erklärung. Er spürte wie seine Wangen heiss wurden und dann fiel sein Blick auf Linea. Er war gerettet zumindest für den Moment! "Ähm... lass micht dich mit Lady Linea bekannt machen." Er packte seine kleine Schwester bei den Schultern und drehte sie zu Linea um. "Mylady, das ist meine kleine Schwester Isabella. Wie ihr seht ist es nicht weit her mit ihren Manieren. Sie vergisst andauernd sich standesgemäss vorzustellen."
Isabella machte einen höflichen Knicks und betrachtete Linea wie alle Neuerungen in ihrem Leben: vertrauensvoll und optimistisch.

Linea lächelte und deutete eine Verbeugung vor dem Mädchen an. "Es freut mich, dich kennen zu lernen Isabella", grüsste sie knapp und leicht über Numairs Verzweiflung amüsiert.

"Willst du ebenfalls ein Pferd kaufen?", fragte Isabella, "Oder wolltest du meinen Bruder sehen? Die Mutter meiner Freundin hat nämlich gesagt es wäre an der Zeit, dass er heiratet."
"So ich denke du hast uns genug Fragen gestellt.", sagte Numair barsch. "Ab mit dir!" Er verpasste ihr einen leichten Klaps auf den Hinterkopf und sie trollte sich folgsam. "Tut mit leid. Unsere Mutter starb bei ihrer Geburt und mein Vater kam ein halbes Jahr danach bei einem Jagdunfall ums Leben. Ich musste daher die Vaterstelle für sie übernehmen, doch wie es aussieht, mache ich die Sache nicht besonders gut.", brummte er und sah zu wie Isabella sorglos die Treppe hinunterhüpfte, die zur Mauer hochführte.

Linea kam nicht dazu dem Mädchen zu antworten und unterdrückte ein Lachen. Sie beobachtete die zwei Geschwister und liess den Blick über das Markttreiben schweifen. Als sich Numair wieder an sie wandte sah sie ihn lächelnd an. "Solange sie glücklich ist, habt ihr eure Arbeit gut gemacht."

"Ich denke immer, dass ich zu wenig streng mit ihr bin.", erwiderte er. "Sie hat einfach ihren eigenen Kopf und ich will sie darauf vorbereiten können, was sie draussen in der Welt erwartet. Doch sie muss mich nur anlächeln und ich werde weich.", gestand er mit einem reumütigen Lächeln. Numair dachte nicht darüber nach, dass es ein wenig wunderlich war, dass er einer fast Fremden seine Familiensorgen anvertraute. "Habt ihr eigentlich noch mehr Geschwister als euren Bruder?"

Sie lächelte. "Nein, nur ihn... Unsere Mutter starb an einer Lungenentzündung, als mein Bruder krank war und Vater wollte nicht mehr heiraten und Kinder in die Welt setzen... Es ist doch gut, wenn eure Schwester weiss, was sie will. Sie scheint ein liebes Mädchen zu sein."

"Das ist sie.", murmelte er. "Ich finde es auch nicht schlecht, dass sie weiss was sie will. Ich will sie lediglich lehren, dass nicht alles nach ihrem Kopf gehen wird." Und wenn der Rat sie mit irgendeinem Drecksack verheiraten will, sobald sie alt genug ist, werde ich mich in offener Rebellion erheben. fügte er ihn Gedanken hinzu. Numair stiess sich von der Brüstung ab und richtete sich auf. "Soll ich euch noch ein wenig weiter herumführen, Mylady, oder wollt ihr zurück zur Prinzessin?"

"Ich glaube, die Prinzessin erwartet von mir, dass ich euch noch eine kurze Bitte überbringen soll... Aber wenn ihr mir noch das ein oder andere hier zeigen wollt, kann ich nicht nein sagen", meinte sie fröhlich.